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Frech gefragt: Ist Fußball heute langweiliger ist als früher?

Für mache war früher einfach alles besser, für andere ist „jetzt“ die grundsätzlich beste Ära. Was jedoch den Fußball anbelangt, werden die Diskussionen aus beiden Richtungen besonders leidenschaftlich geführt. Wir haben deshalb einmal versucht, beide Standpunkte zu beleuchten. Nach dem einfachen Schema „Stimmt, weil…“ und „Stimmt nicht, weil…“.

Stimmt: Bayern-Dominanz

Man darf zum FC Bayern München absolut geteilter Meinung sein. Doch selbst wenn es Kommentatoren und unter anderem die Fans von Dortmunder BVB und Bayer 04 Leverkusen anders sehen möchten, steht eins im Raum:

Bayern hat eine ungesunde Dominanz, die selbst die Titelchancen eigentlich sehr guter Teams jederzeit gefährdet. Selbst, wenn andere Mannschaften dem Titelgewinn nahekommen, so gibt es doch seit sehr vielen Jahren keine Saison, während der die Münchener keine ernsthaften Titelkandidaten werden. Und zu oft gehen selbst spannende letzte Spieltage wieder zugunsten der Bayern aus – wie etwa am Ende der Saison 2022/23.

Die Liste der deutschen Meister spricht für sich. Das mag zwar ein Lob für die Münchener sein, spricht jedoch nicht gerade für heute spannenden Fußball – wenn sie trotz aller Anstrengungen anderer Teams doch immer wieder (völlig egal aus welchen Gründen) Meister werden.

Übrigens: Die Bayern wurden hier bloß aufgrund ihres Standings im deutschen Fußball genannt. In den meisten anderen großen Fußballnationen sieht es ganz ähnlich aus, teils sogar noch dramatischer.

Stimmt nicht: Leistungsniveau

Es gab mal eine Zeit, in der gingen Erstliga-Spieler die ganze Woche über einer regulären Arbeit nach – oft einer körperlich sehr anstrengenden. Erst nach Feierabend und an den Wochenenden widmeten sie sich dem Sport.

Wer sich heute alte Videoclips aus dieser Zeit anschaut, wird das schnell bemerken. Denn heutige Spieler sind im Höchstmaß austrainierte Athleten. Hinter ihnen stehen Jahrzehnte sportwissenschaftlicher und -medizinischer Anstrengungen rund um den Globus. Egal ob

  • Training.
  • Intensität.
  • Methoden.
  • Ernährung.

All das sorgt für eines: Heutige Fußballer sind, bei ansonsten gleichen Vorzeichen, sehr viel leistungsfähiger als ihre früheren Kollegen. Tatsächlich würde ein beliebiges heutiges Zweit- oder gar Drittliga-Team wohl einen Deutschen Meister aus der Bundesliga-Frühzeit durchs Stadion scheuchen.

Vielleicht mögen die Storys von einst amüsant sein. Dann, wenn das Team die halbe Nacht zechte und dann trotz üblem Kater ein Länderspiel gewann. Im Sinne sportlicher Höchstleistungen war das jedoch nicht. Und das Schlimme: Man sieht es vor allem mit heutigen Augen leider sehr stark, wie langsam Fußball früher war.

Stimmt: Vereinheitlichung

Fußball ist der global zugstärkste Mannschaftssport der Welt. Er ist buchstäblich eine Milliardenindustrie – egal ob man das persönlich gut findet oder nicht. Fakt ist aber: In einer solchen Industrie, zudem einem Sport, der schon so lange existiert, ist es absolut unvermeidlich, dass sich die Leistungsniveaus immer weiter annähern. Ähnlich wie bei Autos, sie ähneln sich heutzutage ebenso stark, weil die Gesetze der Aerodynamik für alle Hersteller gleichermaßen gelten.

Der Nachteil davon: Den Vereinen, Spielern und den einzelnen Matches geht das Markante, Eigenständige immer mehr verloren. Das berühmte 1:7 bei der WM 2014 gegen Brasilien war vor allem deshalb so aufsehenerregend, weil beide Teams eigentlich leistungsmäßig sehr nah beieinander waren. Das Zerbrechen Brasiliens angesichts des Drucks war daher sehr überraschend.

Hierin zeigt sich auch, wie selten in den oberen Leistungs-Sphären stark unterschiedliche Siege mit vielen Toren geworden sind. Früher kam das deutlich häufiger vor.

Stimmt nicht: Mehr Wettbewerbe

Man könnte an diesem Punkt viel über das frühere Schema von Ober- und sonstigen Ligen schreiben, die allein den Profifußball in vielen Staaten reichlich komplex machen. Fokussieren wir uns stattessen jedoch lieber auf die Wettbewerbe jenseits der Landesmeister sowie Euro- und Weltmeisterschaften.

Nehmen wir die Geschichte von Deutschlands wichtigstem Pokalwettbewerb. Bis zur Gründung der Bundesliga war der nicht nur reichlich komplex, sondern wurde von vielen Fans sehr kritisch beäugt. Erst, als man die Bundesliga aus der Taufe gehoben hatte, wurde daraus die heute so bekannte und beliebte Veranstaltung namens DFB-Pokal.

In vielen Ländern ist es so. Macher mag zwar Kommerz dahinter vermuten. Zweifelsohne gibt es jedoch heute für Fans deutlich mehr zu sehen.

Stimmt: Söldnertum

Als Manuel Neuer 2011 von Schalke nach Bayern wechselte, war der Zorn vieler Fans groß – in beiden Mannschaften. Warum? Weil der Torwart – ähnlich wie es früher Standard war – sehr mit seinem ursprünglichen Verein in Verbindung gebracht wurde.

Wohl gibt es das bis heute noch. Insgesamt aber gilt für die meisten Fußballer im In- und Ausland ein Motto: Follow the Money. Viele sehen deshalb jeden Club-Aufenthalt nur als Zwischenstation an. Wobei das Ziel dann einer der international ganz großen Top-Vereine ist.

Der persönlichen Identifikation mit anderen Teams und deren Fans tut das nicht gerade gut. Zudem werden die Mannschaften austauschbar, irgendwie beliebig. Und für manchen wirkt es so, als würden zahlreiche Athleten nur danach streben, möglichst rasch einen hochdotierten Posten nebst internationalem Ruhm bei einem der Top-Teams zu bekommen.

Das war früher tatsächlich sehr viel anders. Wohl gibt es Transfers schon lange. Allerdings waren sie einst nicht so bestimmend (und kostspielig) wie heute – und die Wechselfrequenzen nicht so hoch.

Stimmt nicht: Mehr Fairness

Mancher mag der Rauheit des früheren Fußballs nachtrauern – wenngleich Szenen wie der berühmte „Griff“ von Vinnie Jones in den Schritt von Paul Gascoine schon 1988 als bösartig gewertet wurde. Nein, aber worum es in diesem Punkt vor allem geht, ist die allgemeine Fairness des Fußballs – wozu Technik enorm viel beigetragen hat.

Über das Wembley-Tor stritten sich ganze Generationen. Dennoch waren viele Fans zornesrot, als sich Torlinienkameras und ähnliche Technik in jüngster Vergangenheit etablierten. Dabei sind genau diese Systeme es, die den modernen Fußball um Längen fairer machen.

Das oft vorgebrachte Gegenargument angeblicher „Seelenlosigkeit“ ist deshalb bei genauerer Betrachtung fadenscheinig: Denn wenn ganze Cups durch eine menschliche Fehlentscheidung verzerrt werden, ist das alles andere als romantisch, seelenvoll oder leidenschaftlich, sondern bloß unfair.

Stimmt: Investoren

Sehr viele moderne Fußballteams sind nur noch dem umgangssprachlichen Begriff nach „Vereine“. Tatsächlich sind es lediglich Wirtschaftsunternehmen – ohne Wirtschaft irgendwie schlechtreden zu wollen. Das Hauptproblem daran zeigt sich, wenn man einmal schaut, in wessen Besitz solche Clubs sind bzw. wer der größte Anteilseigner ist.

Nehmen wir die City Football Group. Tatsächlich eine völlig normale Holding – bloß gehören ihr gleich mehrere Fußballteams rund um den Globus. Ähnlich sieht es bei zahlreichen anderen Clubs aus. Wo sehr reiche Einzelpersonen als Eigner dahinterstehen, kann man vielleicht noch etwas persönliche Leidenschaft attestieren.

Deutlich häufiger sieht es jedoch so aus: Die Vereine werden betrieben, weil sie eine große Menge Geld erwirtschaften. Gerade mit Blick auf die Geschichte des Fußballs ist das für viele Fans eher schmerzlich – wenngleich eine solche investorenbasierte Kommerzialisierung in anderen Sportarten schon seit vielen Jahrzehnten völlig normal ist.

Das ist nicht nur auf einer emotionalen Ebene kritisch. Es sorgt ebenso dafür, dass

  1. Geld bei der allgemeinen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Vereine eine immer größere Rolle spielt und
  2. sich eine immer stärkere Kluft zwischen den reichen Spitzenvereinen und „dem Rest“ auftut.

Stimmt nicht: Mehr Internationalisierung

1995 war die Bundesliga noch in heller Aufregung, als mit Raffael Tonello der erste Italiener den Weg in den deutschen Spitzenfußball fand. Damals zum Erstligist Fortuna Düsseldorf.

Noch größer war das Aufsehen, als der FC Köln bereits drei Jahrzehnte früher, 1964, den Brasilianer Zézé verpflichtete. Und erst ein Jahr zuvor war mit Dragomir Ilic der erste ausländischer Spieler überhaupt in der Bundesliga aufgelaufen (spielte zuvor jedoch schon in Oberliga-Zeiten hier mit).

Tatsache ist: Fußball war über lange Zeit eine in seinen jeweiligen Nationen ziemlich abgeschottete Veranstaltung. Erst allmählich änderte sich das. Zum Glück, wie man sagen muss. Denn mit dieser großen Internationalisierung auf allen Ebenen kam jede Menge frischer Wind in die Vereine und Ligen.

Andere Stile, andere Herangehensweisen, andere Denkmuster – die zuvor nie eine Chance gehabt hätten. Dem Fußball als Sport hat das definitiv gutgetan. Zumal dadurch ebenso junge Talente einen verdienten Weg in den Profifußball fanden, den sie in ihrem Geburtsland niemals gefunden hätten.

Stimmt: Übervorsichtiges Auftreten

In einer Zeit, in der die allermeisten großen Teams Wirtschaftsunternehmen sind, werden daran ebensolche Maßstäbe angelegt. Das bedeutet vor allem: Image ist erst einmal alles. Die Folge dessen lässt sich vor allem im direkten Vergleich sehen: Es gibt heute kaum noch Spieler, Trainer und Funktionäre, die wirklich mit „Ecken und Kanten“ von sich reden machen.

Jeder, der potenziell vor ein Mikrofon treten könnte, wird umfassend in medial korrektem Verhalten geschult. Alles, was auch nur ansatzweise kritisch oder bloß lustig gesehen werden könnte, wird vermieden. Der Hauptgrund dafür ist lediglich das Vermeiden jeglicher schlechten Publicity, im Kampf um ein stets glänzendes Image.

Zugegeben, schaut man sich manche früheren Interviews an, mag es vielleicht ganz gut sein, dass heute jeder zumindest grundlegend geschult wird. Aber solche menschlichen und dadurch charmanten Auftritte wie einst von Giovanni Trapattoni bei seiner legendären Pressekonferenz als Trainer des FC Bayern, wird man heute vergeblich suchen. Da muss sich mancher Offizielle schon entschuldigen, wenn ihm ein harmlos-alltäglicher Fluch entgleitet.